So gelingt die Behandlung von Patienten mit geistiger Behinderung
Dr. Ute Schaaf betreibt ihre Praxis im mittelfränkischen Absberg in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Einrichtung der Eingliederungshilfe. Daher zählen rund 200 Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung zu ihren Patienten. Die Ärztezeitung berichtet über ihren Vortrag auf dem DEGAM-Kongress.
Die Hausärztin möchte den Blick der Kollegen auf die ärztliche Betreuung von geistig eingeschränkten Menschen lenken. Denn es gibt weder ausreichend Fachliteratur, noch wird das Thema im Medizinstudium behandelt. Auch MFAs fühlen sich oftmals nicht gut auf den Umgang mit diesen Patienten vorbereitet.
Anderer Blick nötig
Wo die Schwierigkeiten in der Behandlung liegen, wird anhand eines Beispiels aus Ute Schaafs Berufsalltag klar. Es komme vor, dass eine Wohngruppe in der Praxis anrufe und um einen Hausbesuch der Ärztin bitte, weil einer der Bewohner nicht aufstehen will. Warum, könne das Betreuungspersonal nicht sagen, Schmerzen äußere der Patient nicht. „Es ist aber genauso gut möglich, dass diese Person ganz leise wird und sich nicht mehr bewegt“, sagt Ute Schaaf. Schließlich entdeckte die Ärztin eine Schenkelhalsfraktur.
Kommunikationswege finden
Menschen mit geistiger Behinderung werden oft übergangen, es wird eher über sie als mit ihnen gesprochen. Ute Schaaf rät Praxisteams, den Patienten immer zuerst anzusprechen. Wichtig sei dabei eine zugewandte, einfache Sprache. Vor einer Ultraschall-Untersuchung sagt sie beispielsweise: „Wir schauen jetzt mal Fernsehen in deinen Bauch rein. Das tut nicht weh. Das wird aber ein bisschen kalt.“
Auch für Menschen mit eingeschränktem verbalem Kommunikationsvermögen gäbe es Möglichkeiten. Angefangen bei speziellen elektronischen Kommunikationshilfen wie Talkern über Fotos, Bilder, Karten oder Tafeln bis hin zur körpereigenen nonverbalen Kommunikation. Vieles ließe sich an Mimik, Gestik, Blicken oder Lauten ablesen. „Wenn ich Schmerzen vermute, taste ich den Patienten unstrukturiert ab und beobachte ihn. Wenn er immer an der gleichen Stelle das Gesicht verzieht oder die Muskulatur anspannt, weiß ich: Hier sitzt das Problem.“
Praxisteams müssten flexibel auf die Patienten reagieren, so Ute Schaaf. „Manchmal müssen wir umstellen auf eine besondere Behandlung. Bleibt ein Patient nicht liegen, macht man eben ein EKG oder den Ultraschall im Sitzen.“ Helfen könne z. B. bei der Blutentnahme eine vertraute Umgebung, eine versierte Person zur Entnahme, unterstützendes Halten oder auch eine kleine Belohnung im Nachgang. Und beim 24-Stunden-EKG kann fest anliegende Kleidung wie ein Body über den Elektroden ratsam sein.
Schwierig sei auch, dass geistig behinderte Patienten nicht immer die gleichen Warnzeichen wie gesunde Patienten wahrnehmen. Bei einigen liegt ein herabgesetztes oder verändertes Schmerzempfinden vor. Einigen fiele auch die genaue Lokalisierung des Schmerzes schwer. So blieben schwere Erkrankungen länger unentdeckt.
Praxisteams sollten sich bei der Befunderhebung viel Zeit nehmen, um eine saubere klinische Untersuchung mit Verhaltensbeobachtung zu machen, alle Sinne einzusetzen und Abweichungen vom individuellen Normalzustand zu erkennen. Skalen können bei der Einordnung helfen, beispielsweise die Bristol-Stuhlform-Skala oder Schmerzskalen.
Eine weitere Herausforderung sei das „Kommunikationsviereck“ zwischen dem Patienten, dem Arzt, dem professionellen Begleiter und der gesetzlichen Betreuung.
Risiko und Nutzen abwägen
Auch zum Thema Prävention hat Ute Schaaf einen Rat: Prävention bedeutet auch, vor Überversorgung zu schützen, z. B. bei der gynäkologischen Krebsvorsorge. Hatte eine Patientin noch nie Geschlechtsverkehr, ist das Krebsrisiko deutlich vermindert, die psychische Belastung aber vielleicht sehr hoch.“
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