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Krisenmüde? Was die Seele stark macht

Gestern Abend wurde in Berlin die Woche der Seelischen Gesundheit 2023 eröffnet. Unter dem Motto „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen“ finden in den nächsten 10 Tagen bundesweit mehr als 700 Veranstaltungen statt.

„Wir hatten keine Ahnung, wie aktuell das Thema werden würde, als wir die Aktionswoche planten“, sagteProf. Dr. Arno Deister, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit (ABSG) angesichts der jüngsten Kriegsereignisse im Nahen Osten zur zentralen Eröffnung der Woche der seelischen Gesundheit 2023. Seine Co-Moderatorin Barbara Dussler, Schauspielerin, Podcasterin („Mackenbaracke“), Psychologie-Studentin und mit einer bipolaren Störung lebend, gab zu: „Wir sind alle ziemlich krisenmüde. Ich habe auch kein Rezept gegen die Angst.“ Es gehe eher darum, mit Angst umgehen zu lernen und „der Angst Manieren beizubringen.“

 

Zwei Drittel der Menschen fühlen sich psychisch belastet

Einer von der EU in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge gaben 62 % der 26.500 befragten Menschen an, dass Ereignisse wie die Coronapandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine oder die Klimakrise ihre psychische Gesundheit „etwas“ bis „sehr“ beeinflussten. Mehrere Politikerinnen und Politiker betonten in ihren Grußworten, dass es heute mehr Anlässe für reale Ängste gibt als in vergangenen Jahren. Das Thema „Zusammen der Angst das Gewicht nehmen“reagiert darauf. Auch die Gesundheitsversorgung befindet sich im Krisenmodus – weshalb der Schirmherr der Woche der seelischen Gesundheit, Gesundheitsminister Karl Lauterbach, nur eine kurze Videobotschaft überbringen konnte. „Erst wenn Menschen über psychische Belastungen sprechen, können sie sich Hilfe holen“, sagte die Berliner Gesundheitssenatorin Ina Czyborra, ebenfalls per Video zugeschaltet. Oft geschehe das viel zu spät.

 

Grüne Schleifen sind gefragt

Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit wurde 2006 gegründet. Tagaktuell gehören ihm 154 Mitgliedsorganisationen an. Hauptanliegen ist, über psychische Erkrankungen aufzuklären. Die Grüne Schleife ist das internationale Symbol für eine Gesellschaft, die offen und tolerant mit psychischen Erkrankungen umgeht. Selten sind diese nicht: In Deutschland erkrankt innerhalb eines Jahres jeder Dritte an einer psychischen Erkrankung. Alle Menschen, die eine Grüne Schleife tragen, zeigen Akzeptanz und setzen sich gegen Ausgrenzung ein. Bisher wurden bundesweit über 300.000 Grüne Schleifen ausgegeben. Am 10. Oktober 2023, dem Internationalen Tag der seelischen Gesundheit, sind sie nicht lieferbar. „Sie sind sehr gefragt“, bestätigt Professor Deister und kündigt an: „Ab Endes des Monats sind über http://www.grueneschleife.com wieder Bestellungen möglich.“

 

Psychische Widerstandskraft kann man lernen

Dr. Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin, sagt: „Sich Hilfe suchen, ist Resilienz. Selbstfürsorge ist Resilienz.“Die Wissenschaftsjournalistin beschäftigt sich seit 10 Jahren mit Resilienz.“ Wir können sie alle brauchen, jeden Tag neu“, sagt sie. Psychische Widerstandskraft kann man trainieren. „Wie man mit Krisen umgeht, steckt uns ein bisschen in den Genen, daran kann man nicht viel ändern. Aber wie wir auf die Dinge schauen, ist das Ergebnis von Denkvorgängen. Wie groß lassen wir die Angst werden?“ Einige Verhaltensweisen helfen, schlimme Dinge im Kopf nicht noch schlimmer zu machen:

  • Es lohnt sich, einmal innezuhalten, sich neben sich zu stellen, die Situation wahrzunehmen und die stressige Situation zu beobachten.
  • Fragen Sie sich: Wie schlimm ist das, was passiert? Was ist das Schlimmste, was passieren kann und was bedeutet das für mich und mein Leben?
  • Wenden Sie die 5er-Schritt-Regel an:Wie denke ich in 5 Stunden, 5 Tagen, 5 Wochen, 5 Monaten, 5 Jahren darüber? Warum? Geschehnisse werden kleiner. Wenn der Zug schon wieder Verspätung hat, ist das ärgerlich, aber wenn ich überhaupt ans Ziel komme, ist es abends vergessen.
  • Lachen Sie im besten Fall über sich selbst.
  • Sehen Sie schwierige Dinge positiv, fragen Sie sich, was ist gut daran?
  • Nehmen Sie Selbstverständliches wieder wahr, dann werden Krisen weniger bedrohlich.

 

Ängste lassen sich minimieren

„Wer weiß, wofür es gut ist“, pflegte Christina Berndts Großmutter zu sagen. Früher ein Aufreger, heute weiß die Autorin: „Der Satz ist so klug.“ Auch wenn klar ist, dass sich nicht alle Geschehnisse im Leben auf positiv drehen lassen. Aber wenn es gelingt, etwas Gutes in Situationen zu sehen, kann das Sorgen und Ängste zu minimieren und vor persönlichen Krisen schützen. „Es sind die kleinen Dinge, die die psychische Widerstandsfähigkeit stärken.“ Ein weiterer Tipp: „In einer Krise nicht ständig Nachrichten konsumieren, 2-mal am Tag reicht.“

Auch Reden hilft. Bundesweit gibt es zahlreiche Initiativen und Vereine, beispielsweise den Hamburger Verein Redezeit für dich, bei dem 350 geschulte Zuhörerinnen und Zuhörer angerufen werden können, wenn sich jemand unsicher, einsam, wütend, überfordert oder hilflos fühlt. Betroffene von Angststörungen finden u. a. bei der Deutschen Angst Selbsthilfe (DASH) kompetente Hilfe.

 

Angehörige werden vernachlässigt

„Sie sind einfach da und damit selbstverständlich“, brachte Dr. Rüdiger Hannig, stellvertretender Vorsitzender des ABSG und Vorsitzender des Bundesverbands der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. das Dilemma der Angehörigen psychisch Erkrankter auf den Punkt. „Eine halbe bis 1 Million schwer kranke psychische Menschen leben in Deutschland, genauer weiß man es nicht. Die Hälfte wird zu Hause betreut, rund um die Uhr.“ Angehörige benötigen Unterstützung. Sie sollten als hilfebedürftige Menschen mitgedacht werden, so der Wunsch des Bundesverbandes. Mit ihnen soll gesprochen werden, nicht nur mit Erkrankten. Ein Aspekt, den auch Medizinische Fachangestellte im Hinterkopf haben können.

 

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