Wie es gelingt, Stress abzubauen
Unterscheiden lernen: Stress und Stressoren
Die meisten Situationen, die uns stressen, sind nicht direkt lebensgefährlich: in einem übervollen Bus fahren, mit anstrengenden Kolleginnen, Vorgesetzten und Patienten zusammenarbeiten, zu viel auf einmal zu tun zu haben. Das alles ist zwar eine Qual – aber wir überleben sie. Dabei hilft uns der Körper, indem er auf diese Stressoren reagiert. Zum Beispiel, indem er den Blutdruck erhöht, die Adern weit stellt und Hormone ausschüttet, die das Schmerzempfinden drosseln. Diese körperliche Antwort ist Teil des Stresskreislaufs.
Oft wird beim Reden über Stress etwas gleichgesetzt, was sich grundlegend unterscheidet. Man beklagt sich über Stress, wenn man eigentlich die Stressoren meint. Galt in früheren Jahrhunderten, dass Stressoren tatsächlich lebensgefährlich waren (Löwen, Bären, feindliche Heere), ist es heute eher der Stress selbst, der tötet.
Wie der Stresskreislauf beginnt
Während wir also mit den täglichen (nicht lebensgefährlichen) Stressoren irgendwie zurechtkommen, verarbeitet unser Körper den Stress, der durch sie ausgelöst wird. Wird die körperliche Stressantwort aktiviert, sind wir bereit etwas zu tun, das wir in unserer modernen Welt meist nicht sofort tun können: wegrennen oder kämpfen (oder sich tot stellen: Dabei handelt es sich um eine Strategie, mit deren Hilfe wir Zeit gewinnen, um später wegzurennen oder zu kämpfen).
Und da beginnt das Problem: Kann der Körper dauerhaft die gestarteten Stressantworten nicht zu Ende bringen, nimmt er Schaden. Denn ein ständig zu hoher Blutdruck und ein dauernd rasendes Herz sind für unsere Gefäße wie ein Tsunami. Sie sind aber für einen konstanten Strom gemacht. Ständig in Extreme zu gehen, erhöht das Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten. Herzinfarkte und Schlaganfälle gehören zu den häufigsten Todesursachen. Es gibt also gute Gründe, den Körper mit seiner angefangenen Stressantwort nicht allein zu lassen.
Die beste Art, das zu tun ist: Rennen, Schwimmen, Tanzen oder etwas in dieser Art. Doch es gibt noch mehr Wege, Stress abzubauen. Dazu gleich mehr. Zuerst ein paar Faktoren, die uns daran hindern, dem Körper bei der Stressantwort zu helfen.
Faktoren, die Stressabbau behindern
- Chronische Stressoren. Die Stressantwort wird durch furchteinflößende Dinge aktiviert: eine schwierige Aufgabe, die sich nicht an einem Tag lösen lässt. Eine Kollegin, die hinter dem Rücken Stimmung gegen uns macht. Eine überlaufene Praxis über Monate.
Abends Queen aufzulegen und zu „Another one bites the Dust“ zu tanzen, hilft, den Stresskreislauf zu Ende zu bringen. Aber am nächsten Tag steht der „Löwe“ wieder vor uns. Und die Stressantwort startet von vorn. Wenn zu viele Stressoren ständig Stress auslösen, kommen wir mit dem Abbauen nicht mehr hinterher.
- Soziale Normen. Wenn der Körper ruft: Renn! Oder: Schlag zu! – wir aber gerade an unserem Arbeitsplatz sind und wissen, dass es keine gute Idee ist, die Chefin, den Kollegen oder die Patientin zu schlagen, machen wir oft gute Miene zum bösen Spiel. Mehr noch, manchmal hören wir die Botschaft: Dein Stressgefühl ist falsch, du stellst dich an, übertreibst und bist unhöflich.
Gerade Menschen in helfenden Berufen stellen häufig ihre eigenen Gefühle zurück, werten sie ab, verstecken sie, kommen nicht an sie heran oder schämen sich für sie. Vor allem, wenn es negative Gefühle sind. Das erzeugt inneren Stress, zusätzlich zu dem, der von außen kommt.
- Sicherheitsempfinden. Stress macht den Körper bereit zum Rennen und zum Kämpfen. Wenn man am liebsten kämpfen würde, es aber nicht wagt, weil man schlechte Chancen hat, den Kampf zu gewinnen (z. B. als Frau gegen einen stärkeren Mann, der grabscht), kann es richtiger sein, davonzurennen. Manchmal ist es sogar richtig, das ohne großes Aufheben zu tun. Das ist okay. Man darf nur nicht vergessen, dass diese Strategie den Stress nicht abbaut. Mit ihr gewinnt man lediglich Zeit.
Den Stresskreislauf zu Ende bringen
Körperlich aktiv zu sein ist die erste Verteidigungslinie gegen chronischen Stress. Aber es gibt noch mehr. Für diese 6 Wege zum Stressabbau gibt es wissenschaftliche Belege:
- Atmen. Tief und langsam zu atmen regelt die körperliche Stressantwort herunter. Besonders wirksam ist langes Ausatmen, bis sich die Bauchmuskeln zusammenziehen. Atmen bietet sich an, wenn der Stress nicht ganz so groß ist oder wenn man großem Stress etwas die Spitze nehmen will. Es ist auch ein guter Start, an den sich weitere Maßnahmen für den Stressabbau anschließen können.
Einfache Atemtechnik: Im-Quadrat-Atmen. Einatmen auf 4, Atem halten auf 4, Ausatmen auf 4, Atem halten auf 4, von vorne beginnen und einige Male wiederholen.
- Positive soziale Interaktionen. Wenn wir uns vergewissern können, dass die Welt trotz allem ein sicherer Ort für uns ist, nimmt der Stress ab. Signale dafür können ganz einfache Dinge sein: ein freundlicher Smalltalk, eine leichte Berührung am Arm (von einer sympathischen Person), ein Kompliment oder ein Scherz.
- Lachen. Mit anderen zusammen zu lachen ist laut der Neurowissenschaftlerin Sophie Scott eine evolutionär entstandene Eigenart, um soziale Bindungen herzustellen und zu erhalten und um Gefühle zu regulieren. Es trägt dazu bei, sich sicherer zu fühlen und zufriedener mit den Beziehungen zu anderen Menschen zu sein.
- Zuwendung. Das Gefühl, mit einem anderen Menschen tief verbunden zu sein, respektiert und geliebt zu werden als die Person, die man ist, kann dem Körper ähnlich gut helfen, Stress abzubauen, wie eine Runde Rennen. Dabei muss die Zuwendung nicht zwingend körperlich sein. Sich als wertgeschätzter Teil eines Teams, der Nachbarschaft, des Vereins, der Stadt oder dem Land verbunden zu fühlen fördert die Gesundheit auch.
Ein einfaches Mittel, sich mit dem Partner verbunden zu fühlen, ist der 6-Sekunden-Kuss, den der Paarforscher John Gottman empfiehlt. Gottman ist dafür, dass Paare sich jeden Tag mindestens einmal 6 Sekunden lang küssen. 6 Sekunden können ganz schön lang sein. Wer sich so lange küsst, unterbricht tatsächlich das, was er gerade tut, lässt sich auf den anderen ein, zeigt, dass er dem Partner vertraut und sich ihm wirklich zuwendet. Eine andere Art, sich all das zu zeigen, ist, sich 20 Sekunden lang zu umarmen. Die Forschung zeigt, dass sich dadurch die Hormonausschüttung ändert, Blutdruck und Puls sinken und sich die Stimmung verbessert.
- Weinen. Einen traurigen Film schauen, vielleicht mit anderen zusammen, und dabei zu weinen kann helfen, die in anderen Situationen heruntergeschluckten Tränen fließen zu lassen. Weinen kann befreiend sein und tiefsitzende Anspannungen lösen.
- Kreativ sein. Kunst, ähnlich wie Sport, schafft einen Raum für große Gefühle und wirkt ein bisschen wie eine Impfung gegen Stress. Musik machen, malen, Theater spielen, Texte schreiben oder Skulpturen erschaffen kann helfen, Gefühle zuzulassen, zu feiern und auszuleben. Die Kunst schafft Freiheiten, die durch soziale Normen eingeengt werden, und ist damit ein Gegengift für stressige Situationen.
Egal, wie Sie Ihren Stress abbauen, tun Sie es täglich. Sie sind ja auch täglich Stressoren ausgesetzt. Wenn Sie Bewegung, Lachen, soziale Kontakte und alles andere zu einem Ritual machen, unterstützen Sie die physiologische Stressantwort und helfen Ihrem Körper, den Stresskreislauf zu beenden. Denn das, was am meisten Schaden anrichtet, sind Stresskreisläufe, die nicht zu Ende gebracht werden.
Inspiriert vom Buch: Emily Nagoski & Amelia Nagoski: Stress. Warum Frauen leichter ausbrennen und was sie für sich tun können. Kösel Verlag 2019
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