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Neue Therapien verhindern Migräneattacken

Nach Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft leiden rund 20 % aller Frauen und 8 % der Männer in Deutschland an Migräne. Bundesweit sind täglich etwa 350.000 Menschen von Migräneattacken betroffen. Eine Folge: Mehr als 100.000 Arbeitsausfalltage pro Jahr. Neue, nebenwirkungsarme Medikamente wirken zuverlässig und können nun verordnet werden, ohne dass zuvor alle Prophylaxen probiert wurden.

„Migräne geht mit erhöhten Entzündungsparametern einher“, sagt Dr. med. Robert Fleischmann, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Greifswald. Bei Migräne liegt eine Reizverarbeitungsveränderung vor. Betroffene nehmen Reize stärker wahr als andere.

Als prophylaktische Medikamente setzte man früher z. B. Betablocker, Antikonvulsiva oder Antidepressiva ein. Diese waren jedoch für andere Indikationen entwickelt worden. Oft wirkten sie erst nach mehreren Wochen der Medikamenteneinstellung. Zudem zeigten sie viele Nebenwirkungen, wenn sie überhaupt vertragen wurden.
 

Akute Therapie bei Migräne

Seit Anfang der 1990er Jahre werden Triptane zur Akuttherapie der Migräne eingesetzt. Diese hemmen Calcitonin gene-related peptide, kurz CGRP. Das vasoaktive Neuropeptid wurde bereits in den 1980er Jahren in Zusammenhang mit der Migräne entdeckt und spielt bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Chronifizierung der Migräne eine bedeutsame Rolle. „Zahlreiche Studien zeigen, dass CGRP und CGRP-Rezeptoren an nahezu allen wichtigen Prozessen der Migräne direkt oder indirekt beteiligt sind“, erklärt Fleischmann.

Bei akuten Migräneattacken wirken sogenannte Gepante gezielter, da sie CGRP direkt blockieren. 4 Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor sind auf dem deutschen Markt inzwischen verfügbar. Fleischmann nennt die „Kopfschmerzmedikamente der nächsten Generation“ eine Revolution: „Weil sie schnell – meist innerhalb der ersten ein bis 2 Behandlungswochen – und nebenwirkungsarm Migräneattacken vorbeugen.“ Vor allem Patientinnen und Patienten mit episodischer Migräne profitieren davon, z. B. Personen, die mehr als 4 Migränetage monatlich haben – das sind etwa 1,6 Millionen – und eher jüngere Leute. „Wenn die Migräne immer am Wochenende auftritt, haben sie 4 Tage verloren. Dann gehören auch 4 Tage mit Antikörpertherapie behandelt“, sagt der Neurologe Fleischmann.
 

Ziel: Lebensqualität verbessern

Allerdings: „Viele Kopfschmerzpatienten wissen gar nicht, dass sie Migräne haben, weil Ibuprofen so gut hilft.“ Wer an 6 Migränetagen pro Monat gut mit Akuttherapie behandelt werden kann, kann das beibehalten. Entscheidungen müssten im Einzelfall getroffen werden, sagte Fleischmann Ende Oktober auf dem Deutschen Schmerzkongress 2022. Das Therapieziel besteht darin, dass Migräne nicht mehr den Alltag beeinträchtigt. Die Kopfschmerztage sollen um die Hälfte reduziert werden und die Lebensqualität soll sich bessern. Um mit einer monoklonalen Antikörpertherapie behandelt zu werden, mussten bisher mindestens 3 prophylaktisch wirkende Behandlungen ausprobiert werden. „Nach neuester Studienlage ist das nicht mehr so.“

Inwiefern CGRP-basierte Medikamente auch bei anderen Kopfschmerzarten oder anderen chronischen Schmerzerkrankungen eine therapeutische Rolle spielen, wird noch erforscht. Auch präventiv eingesetzte physiotherapeutische Verfahren können die Häufigkeit, Dauer und Intensität von Migräneattacken minimieren.
 

Chronifizierung vermeiden

Auf den bisher nicht ausreichend beachteten Aspekt des posttraumatischen Kopfschmerzes wies Privatdozent Dr. med. Torsten Kraya, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Leipziger Klinikum St. Georg, hin: „Von 400.000 Menschen in Deutschland, die pro Jahr ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) erleiden, berichten mehr als die Hälfte über akute Kopfschmerzen“. Ein Risiko für eine Chronifizierung des Schmerzes nach SHT besteht bei Personen mit bereits vorbestehender Neigung zu Kopfschmerzen, jüngerem Lebensalter, weiblichen Geschlechts sowie ein Kopfschmerz vom Migräne-Typ. Letzteren behandelt man oft mit Triptanen, während bei Spannungskopfschmerzen eher Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen eingesetzt werden. Heute setzt man auf eine frühzeitige medikamentöse Schmerztherapie. „Studien weisen zudem darauf hin, dass eine moderate körperliche und geistige Aktivierung bereits binnen 24 oder 48 Stunden nach dem Unfall sinnvoll ist, auch um das Einüben von Schonverhalten und eine Chronifizierung der Schmerzen zu vermeiden“, sagt Kraya.
 

Apps bei Migräne

Unterstützend können Apps auf Rezept, so genannte Digitale Anwendungen, bei Migräne eingesetzt werden. Ganz neu wurde die App sinCephalea – Migräneprophylaxe zugelassen. Das Besondere: Die innovative DiGA ermittelt, welche Lebensmittel das Gehirn gleichmäßig mit Energie versorgen. Sie analysiert Blutzuckerreaktionen und bestimmt eine individuell optimierte Ernährung.

M-sense Migräne wurde im April 2022 (vorläufig) aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen. Sie kann nicht mehr ärztlich verordnet, jedoch weiterhin genutzt werden.

Empfehlenswert ist die kostenlos zu beziehende Migräne-App der Schmerzklinik Kiel. Sie versteht sich mit zahlreichen Funktionen als digitales Versorgungsangebot, das direkt in die professionelle ärztliche Versorgung eingebunden ist und sowohl Patienten als auch die behandelnden Ärzte unterstützen soll.

Die Stiftung Warentest hat aktuell 16 kostenpflichtige und kostenfreie Kopfschmerz- und Migräne-Apps unter die Lupe genommen.

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