Long Covid in der Hausarztpraxis: Ideen, um Patienten besser zu versorgen
Long Covid ist nicht gleich Long Covid
Über 200 verschiedene Symptome, unterschiedliche Einschränkungen, unklare Pathologie, wenig Erkenntnisse zu wirksamen Behandlungen – so beschreibt die bundesweite gesundheitspolitische Initiative LONG COVID, ein privater Zusammenschluss von Long COVID-Betroffenen und Angehörigen aus ganz Deutschland, die Lage. Long Covid ist so komplex, weil es so viele Gesichter hat. Das stellt Ärztinnen, Therapeuten und alle anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen vor riesige Herausforderungen. Weder gibt es die eine diagnostische Methode noch das eine Leitsymptom oder die eine erfolgversprechende Behandlungsmethode. Die Forschung zu Long Covid steckt noch in den Kinderschuhen – und das, obwohl so viele Menschen davon betroffen sind und schon sehr früh in der Pandemie viel darauf hindeutete, dass lang anhaltende Symptome bei Covid vergleichsweise häufig sind. Ca. 10 bis 15 % der Infizierten haben länger als 12 Wochen Beschwerden.
Viele Fachgesellschaften haben sich lange schwer getan mit dem Syndrom und so ließen Handreichungen und Berichte über Behandlungsansätze auf sich warten. Inzwischen gibt es zwar Leitlinien, die bei der medizinischen Versorgung helfen. Doch nach wie vor sind die Hürden für eine angemessene Patientenversorgung im Praxisalltag groß. Denn Long Covid erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die in der ambulanten Struktur nur schwer zu leisten ist.
Die größte Hoffnung setzen die Patienten deshalb auf spezielle Long-Covid-Ambulanzen. Dort sind die Möglichkeiten für die aufwändige Diagnostik eher gegeben. Hausärzte können die erforderliche Zeit und die intensive Labordiagnostik häufig nicht so ohne Weiteres im laufenden Praxisgeschäft einplanen.
Allerdings reichen die Plätze in den Long-Covid-Ambulanzen nicht aus, viele Patienten müssen monatelang auf einen Termin warten. Auf dem 1. Long-Covid-Kongress, der vor Kurzem in Jena stattfand (das PKV-Magazin berichtete), wurden deshalb auch einige Ideen diskutiert, wie sich die Versorgung der Patienten verbessern ließe. Den Hausärzten kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.
Regionale Netzwerke und mehr Forschung
Die selbst von Long Covid betroffene Gefäßchirurgin Claudia Ellert plädierte auf dem Kongress dafür, umzudenken. „Wir müssen die organbezogene Denkweise verlassen,“ sagte sie. Sie schlägt eine stärkere regionale Vernetzung zwischen spezialisierten Ambulanzen und niedergelassenen Ärzten vor. Dabei sollten Hausärztinnen am besten vorab beurteilen, wer eine Überweisung in eine Long-Covid-Ambulanz wirklich benötigt. Dafür wünscht sie sich von den Fachgesellschaften, dass sie den Niedergelassenen mehr Orientierung geben.
Der Leiter der Long-Covid-Ambulanz in Marburg, Bernhard Schieffer, erklärte in einem Interview, wie er sich die Versorgung vorstellt: Die Ambulanzen sollten nach der Diagnostik mit der Behandlung beginnen und die Patienten anschließend von Fachärzten, wie z. B. Kardiologen oder Neurologinnen, weiterbetreut werden. Er geht davon aus, dass sich solche Strukturen relativ schnell aufbauen lassen. Auf dem Kongress wurde außerdem die Idee von Ambulanzbussen diskutiert. Sie könnten in ländlichen Gebieten eingesetzt werden. So könnten Hausärzte mithilfe von Telemedizin dem steigenden Bedarf begegnen.
Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen, hält ein Stufenkonzept für sinnvoll, bei der Hausärztinnen die ersten Ansprechpartner sein sollten. Sie brachte auch ein Disease-Management-Programm (DMP) für Long Covid ins Spiel. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht das Versorgungsproblem. Im Zuge der geplanten Krankenhausreform will er den Aufbau von Spezialambulanzen fördern.
Doch trotz der vielen Ideen ist auch klar: Hausarztpraxen sind jetzt schon am Limit. Was sie leisten, zeigt zum Beispiel dieser kurze Film der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der die Arbeit der Praxen am 1. April 2021 skizziert. Praxen können ohne Unterstützung nicht noch mehr Arbeit schultern. Unter diesen Voraussetzungen kommen die aufwändigeren Patienten, wie es Long-Covid-Patienten sind, nicht selten zu kurz.
Long Covid führt zu mehr Erwerbsunfähigkeit
Auch bei der Rehabilitation unterscheidet sich Long Covid von anderen Erkrankungen. Manche der Betroffenen profitieren nicht von einer Reha-Maßnahme – im Gegenteil. Es gibt auch Fälle, in denen es durch Belastung zur Verschlechterung der Symptomatik kommt. Nach Einschätzung der Pneumologin Jördis Frommhold, die in der Rehabilitation von Long-Covid-Patienten aktiv ist, kommen Erkenntnisse und Therapieerfahrungen aus den Reha-Kliniken häufig nicht bei Hausärzten und Spezialambulanzen an. Betroffene machen immer noch oft die Erfahrung, dass Ärzte ihre Beschwerden als psychosomatisch ansehen. Bernhard Schieffer hält dagegen: „Schauen Sie sich mal einen Patienten mit Long Covid an: Er ist um Jahre gealtert, hat graue Haare und ein paar Jahre Lebenszeit verloren. Das hat alles nichts mit Psychosomatik zu tun.“ Er berichtet, dass die Diagnostik oft Veränderungen des Immunsystems zeigt neben anderen auffälligen Laborparametern.
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) warnte auf dem Kongress vor einer steigenden Belastung der Sozialversicherungssysteme durch Long Covid, da viele junge, erwerbstätige Menschen von der Krankheit betroffen sind. Ein gewisser Prozentsatz von ihnen bleibe auf Dauer arbeitsunfähig. Für Patienten, die sich am Beginn der Pandemie infiziert hatten und bis heute unter Symptomen leiden, stehe inzwischen der Antrag auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente an.
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