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Hitzeaktionspläne: Wie wissen, wer Hilfe braucht?

Hitze wird zunehmend auch in Deutschland zu einer Gesundheitsgefahr. Vor allem für die Verletzlichsten: alte und kranke Menschen, Schwangere und Kinder, sozial Benachteiligte und Wohnungslose. Manche Kommunen und das Land Berlin haben bereits Hitzeaktionspläne entwickelt, nun gibt es auch einen bundesweiten, der in Teilen ab sofort wirksam werden soll. Die Hausarztpraxen spielen dabei eine zentrale Rolle.

Über 8.000 Tote in Deutschland durch Hitze im Jahr 2022

Die Sommerfreuden werden zunehmend eingetrübt von der fortschreitenden Klimakatastrophe. Jedes Jahr stellt neue Temperaturrekorde auf. Die 7 heißesten Tage der Erde in den letzten 100.000 Jahre waren die der ersten Juliwoche 2023. Die Wissenschaft weist unermüdlich und zunehmend verzweifelt darauf hin, dass dies erst der Anfang einer immer heißer werdenden Welt ist. Das heißt: Auch in Deutschland muss mit immer extremeren Temperaturen in den Sommermonaten gerechnet werden. Und damit auf eine steigende Zahl an Hitzetoten. Im Jahr 2022 starben nach Schätzungen einer Studie in Europa 61.000 Menschen an Hitze, allein in Deutschland waren es 8.137. Bis zum Jahr 2050 könnte sich die Zahl der jährlichen Opfer verdoppeln.

Nach dem Extremsommer 2003 erschien eine vergleichbare Studie, die die Zahl der Hitzetoten in Europa auf 70.000 und in Deutschland auf über 9.000 schätzte. Frankreich hatte daraufhin einen nationalen Hitzeschutzplan entwickelt. In Deutschland passierte hingegen nicht viel. Vielmehr stritten sich Kommunen, Länder und der Bund darüber, wer zuständig sei. Die Folge: Deutschland ist aktuell nur schlecht auf den Schutz der Verletzlichsten vorbereitet, wenn es tagelang über 35 oder sogar 40 Grad heiß wird. Es fehlt an Konzepten und Strukturen, es fehlt an baulichen Voraussetzungen und an Verantwortlichen. Das soll sich jetzt ändern.
 

Der Plan: Die Verletzlichsten vor den Gefahren der Hitze schützen

Einige Kommunen, wie z. B. Köln, Offenbach (Main) und Mannheim, sowie das Land Berlin haben bereits Hitzeaktionspläne. Sie konzentrieren sich vor allem auf Menschen über 65 Jahre. Viele Städte und Gemeinden setzen schon einzelne Schutzmaßnahmen um. Doch ohne Gesamtkonzept entsteht so ein Flickenteppich, der schwer zu durchschauen ist.

Ohne Zweifel kommt den Kommunen eine besondere Rolle zu, aber auch die Hausarztpraxen sollen eine zentrale Aufgabe beim Hitzeschutz übernehmen. Laut einem Versorgungs-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ist jeder vierte AOK-Versicherte über 65 Jahre überdurchschnittlich gefährdet, an heißen Tagen Gesundheitsprobleme zu bekommen. Diese Menschen müssen rechtzeitig erreicht werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte Ende Juni Pläne vor, mit deren Hilfe er diese Aufgabe bewältigen will. Rechtzeitige Vorhersagen, bürgernahe Warnsysteme und die Vernetzung von kommunalen Stellen mit Pflegeheimen, Pflegediensten und Ärzten spielen dabei eine wichtige Rolle. Dazu könnten die Daten der Pflegekassen genutzt werden, z. B. in Hausarztpraxen. Doch dafür fehlt es bislang an den rechtlichen Voraussetzungen. Dabei geht es nicht nur um Warnungen, sondern um ganz konkrete Maßnahmen. Diese reichen von der richtigen Lagerung von hitzesensiblen Medikamenten über Anleitungen, mehr zu trinken, bis zum Aufsuchen von Hitzeschutzräumen, wenn die eigene Wohnung zu heiß wird.

Der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Markus Beier, betont, dass die Kontaktaufnahme mit den verletzlichsten Personen schon jetzt zum Alltag der Hausarztpraxen gehört. Vor allem viele ältere chronisch kranke Patienten stünden dabei im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Frage sei nur, ob das auch strukturiert gelinge. Eine Blaupause dafür könnte ein Modell aus Baden-Württemberg sein. Dort erhalten teilnehmende Arztpraxen im Rahmen der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) einen Honorarzuschlag von 8 Euro pro Patient und Kalenderjahr für klimaresiliente Versorgung auf die Pauschale P3.
 

Vorbild Frankreich?

Frankreich diente Lauterbach als Vorbild bei den Plänen. Dort gibt es bereits seit 2004 einen Hitzeaktionsplan. Allerdings ist er dort an den Katastrophenschutz gekoppelt und tritt jährlich automatisch vom 1. Juni bis 15. September in Kraft. Dann greift ein vierstufiges Ampel-Warnsystem – von grün (erhöhte Wachsamkeit) über gelb (erste Notfallmaßnahmen), orange (weitere Notfallmaßnahmen) bis rot (maximale Aktivierung von Notfallmaßnahmen). Außerdem werden die Auswirkungen der Extremtemperaturen für die Bevölkerung wissenschaftlich überwacht (Krankheit und Tod) und eine nationale Kommunikationsstrategie setzt ein. Dazu gehört eine nationale Notfallnummer und ein Hitzeregister, in das sich verletzliche Menschen eintragen können. Im Katatsrophenfall (rot) schließen Kindergärten und die Gesundheitsversorgung schaltet auf Krise um. Die Krankenhausbetten werden aufgestockt.

Doch schaut man sich die Pläne der Bundesregierung genauer an, folgt sie diesem Konzept nicht. Frankreich definiert Hitzewellen als Zeitraum, Deutschland als Einzelereignis. Der Katastrophenschutz ist hier Ländersache und bislang nicht für das Hitze-Warnsystem zuständig. Diese Aufgabe liegt beim deutschen Wetterdienst. Der warnt aber nur in 2 Stufen. Die zweite Stufe greift nach Ansicht von Expertinnen allerdings zu spät, nämlich erst bei 38 Grad gemessener Temperatur. Doch die gefühlte Temperatur weicht meist von der gemessenen ab, je nach Luftfeuchtigkeit und Wind.

Zudem ist nicht klar, ob die Warnungen wirklich bei den Verletzlichsten ankommen. Websites und Apps nutzt diese Gruppe nicht unbedingt. Bis Vor-Ort-Netzwerke in der Praxis funktionieren, muss man einige Jahre einplanen. Wie schnell es geht, hängt auch von den Verantwortlichen ab. Sie müssen viel Arbeit in den Aufbau von Strukturen stecken, die im Notfall reibungslos funktionieren sollen. Eine Mammutaufgabe.

Eine Idee aus Japan zeigt, wie es gehen könnte: Dort wurden allen Seniorinnen über 65 Jahre kostenlos Wasserflaschen geliefert – zusammen mit Hinweisen zum Hitzeschutz.

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