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Die Hausarztzentrierte Versorgung als Zukunftsmodell – viel spricht dafür

Vor 15 Jahren führte die AOK Baden-Württemberg die hausarztzentrierte Versorgung (HzV) ein. Fast 2 Millionen Versicherte werden in diesem Modell medizinisch versorgt. Eine Evaluation der HzV stellt fest: Patienten haben dadurch klare Vorteile. Aber auch die Arztpraxen profitieren.

Hausarztpraxen als erste Ansprechpartner und Lotsen

Krankenkassen müssen ihren Versicherten eine Hausarztzentrierte Versorgung anbieten. Patienten haben dabei die Möglichkeit, mit ihrem Hausarzt einen Vertrag zu schließen, in dem sie sich verpflichten, alle Gesundheitsprobleme zuerst mit ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin zu besprechen. Die Entscheidung, ob ein Facharztbesuch notwendig ist, treffen sie dann gemeinsam mit dem Hausarzt und erhalten in diesen Fällen auch eine Überweisung. Die Behandlung bei Frauenärztinnen, Augenärzten und Kinderärztinnen sowie bei Notfällen ist weiterhin auch ohne Überweisung vom Hausarzt möglich.

Ziel dieses Versorgungsmodells ist, mehr Kontinuität in die medizinische Versorgung der Patientinnen zu bringen: So kann die Hausärztin einen guten Überblick über den Gesundheitszustand behalten und Patientinnen können sicher sein, dass sie den richtigen Ansprechpartner für ihr aktuelles Problem finden. Unnötige Doppeluntersuchungen und -behandlungen sollen so vermieden und chronisch kranke Patienten besser versorgt werden.

In ganz Deutschland nehmen ca. 6 Millionen Patienten an der HzV teil, circa 30 % dieser Patienten nutzen das Modell in Baden-Württemberg. Hier wurde 2008 der erste Hausarztvertrag geschlossen. Welche Effekte das baden-württembergische Modell hat, untersuchten Wissenschaftlerinnen der Goethe-Universität Frankfurt und ein Team des Universitätsklinikums Heidelberg. Dabei zeigte sich, dass vor allem ältere chronisch kranke Patienten mit Diabetes, Asthma, Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und koronaren Herzerkrankungen von dieser Versorgung profitieren. Aber auch die Praxen haben Vorteile.
 

Vorteile für Patienten

Berechnungen der Jahre 2011 bis 2020 zeigen, dass durch die HzV bei 119.000 Diabetikern über 11.000 schwerwiegende Komplikationen vermieden wurden. So konnten z. B. 350 Fälle von neu aufgetretener Erblindung, 2.250 Schlaganfälle und mehr als 630 Amputationen durch die engmaschige hausärztliche Betreuung verhindert werden. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe Universität Frankfurt, mutmaßt aber: „Mitverantwortlich ist dafür sicherlich auch die um 20 Prozent höhere Teilnahme am Disease-Management-Programm Diabetes, die in der HzV ja gezielt angereizt wird.“ Die Versorgung von Chronikern werde dadurch strukturierter und kontinuierlicher, so Gerlach.

Im Rahmen der HzV wird auch durch andere Maßnahmen die Versorgungsqualität verbessert, z. B. durch ärztliche Qualitätszirkel und leitliniengerechte medikamentöse Therapie. Gerlach führt aus, dass sich „die Qualitätsschere zwischen HzV und Regelversorgung von Jahr zu Jahr mehr zugunsten der HzV öffne.“

Das zeige sich auch daran, dass es beispielsweise im Jahr 2020 gut 27.000 weniger Krankenhausaufnahmen, rund 125.000 weniger Krankenhaustage und 5.500 weniger Wiedereinweisungen in Kliniken gegeben habe, als man erwarten dürfte.
 

Vorteile für Arztpraxen und MFAs

Hausärztinnen können mithilfe der HzV einen besseren Überblick über den Gesundheitszustand und die medizinische Versorgung ihrer Patienten behalten. Das ermöglicht zum einen eine bessere Kontinuität in der Betreuung der Patienten, was nachweislich Vorteile für den Gesundheitszustand der Patientinnen hat. Zum anderen hilft es auch bei der Steuerung der Patientenströme im Gesundheitswesen. So lassen sich unnötige Arztkontakte reduzieren. So sei die Zahl unkoordinierter Facharztkontakte ohne Überweisung zurückgegangen.

Krankenkassen sparen pro Patient ca. 40 Euro im Jahr, ohne dass Arztpraxen auf Einnahmen verzichten müssen. Durch Pauschalen und Zuschläge und mehr Möglichkeiten, delegierte Leistungen abzurechnen, vereinfacht sich die Abrechnung mit der Krankenkasse.

An die Verträge sind qualitätssichernde Maßnahmen geknüpft. So sieht das HzV in Baden-Württemberg z. B. vor, dass Ärzte an moderierten Qualitätszirkeln teilnehmen müssen und bestimmte Fortbildungspflichten erfüllen. Die Versorgung von Chronikern und multimorbiden Patientinnen durch VERAHs wird mit einem Zuschlag vergütet. Die stellvertretende Vorsitzende des Hausärzteverbands Nicola Buhlinger-Göpfarth sieht deshalb die HzV auch als Stärkung des Teamgedankens in Praxen: „Wenn wir die Versorgung in Zukunft noch stemmen wollen, brauchen wir mehr höher qualifiziertes Personal. Aber das müssen wir Praxen natürlich auch bezahlen können. Da müssen sich die Kostenträger bewegen. In der Hausarztzentrierten Versorgung haben wir solche Zuschläge längst.“

Buhlinger-Göpfarth hält die HzV auch für eine „Innovationsküche“ und für einen Schlüssel zur effizienteren Nutzung begrenzter Ressourcen. Zukunftsfähigere Konzepte könnten in diesem Rahmen leichter erprobt sowie Delegation und interprofessionelle Zusammenarbeit schneller umgesetzt werden. So könnten HzV-Praxen mit einer VERAH nachweislich eine intensivere und besser koordinierte Versorgung und mehr Kontinuität gewährleisten. Die Einbindung weiterer Berufsgruppen, wie z. B. Sozialarbeiter sei darüber ebenfalls denkbar.
 

Lauterbach: „Modell für ganz Deutschland“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht in der baden-württembergischen HzV ein Modell für ganz Deutschland. Das erklärte er vor Kurzem auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter). Die Ergebnisse seien sehr beeindruckend.

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