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Die große Depression: Jugendliche sind psychisch instabil wie nie zuvor

Bereits seit Jahren stellen Untersuchungen einen besorgniserregenden Trend fest: Immer mehr Jugendliche kämpfen mit Depressionen und anderen psychischen Auffälligkeiten. Doch die neuesten Zahlen aus den USA und Deutschland sind alarmierend. Vor allem Mädchen geht es schlecht. Woran liegt das?

Zahlen aus USA: 40 % leiden unter anhaltender Traurigkeit

Die Generation Z leidet stärker unter psychischen Belastungen als die Generationen vor ihr. Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, berichten von hohem Leistungsdruck in der Schule, Social-Media-Mobbing und sexualisierter Gewalt. Dazu kommen unterschiedlichste globale Krisen, die ihre Zukunftsaussichten eintrüben. Die Folge sind u. a. zunehmende Depressionen in dieser Altersklasse.

Eine Studie des US-amerikanischen Zentrums für die Kontrolle von Krankheiten und Prävention (CDC, eine Behörde des US-Gesundheitsministeriums) wertete Angaben von Highschool-Schülern aus dem Jahr 2021 aus. Das erschreckende Ergebnis: 40 % der Befragten litten unter anhaltender Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. 2009 betraf das nur 25 % der Schüler. Vor allem schwarze, schwule, lesbische und bisexulle Jugendliche sind gefährdet. Und Mädchen.

14 % der befragten Mädchen berichteten über gewaltsamen Sex, 60 % haben wegen tiefer Traurigkeit ihre regelmäßigen Aktivitäten aufgegeben, 25 % dachten während der Pandemie ernsthaft über Suizid nach (zum Vergleich: die Hälfte der Jungen dachte an Suizid).

Die Studie sieht durchaus die Isolationsmaßnahmen während der Pandemie als Faktor für die Zunahme psychischer Probleme bei Jugendlichen, erkennt aber auch andere negative Einflüsse. Täglicher Social-Media-Konsum nagt offenbar am Selbstwertgefühl und auch in der Schule wird viel verglichen: Wer ist besser? Wer kann mehr als andere? Wer ist attraktiver? Schließlich erhöhen auch überbesorgte Eltern den Druck, wenn sie ihre Kinder für den Konkurrenzkampf um begehrte Studienplätze rüsten wollen.

 

Zahlen aus Deutschland: 23 % sind psychisch auffällig

Die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf untersuchte die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland während und nach der Pandemie. Die neueste Auswertung aus dem Herbst 2022 zeigt, dass sie langsam abnimmt. Waren um den Jahreswechsel 2020/2021 noch 31 % der Kinder und Jugendlichen psychisch belastet, geben das jetzt nur noch 23 % der Befragten an.

Trotzdem liegen die Werte immer noch über denen vor der Pandemie, als 18 % psychisch auffällig waren. Zu den anhaltenden Symptomen zählen Ängstlichkeit, psychosomatische Beschwerden, Reizbarkeit, Schlafprobleme, Niedergeschlagenheit und Nervosität. Allein die Symptome für Depressivität sind wieder auf das Niveau vor der Pandemie gesunken: 14 % der Jugendlichen fühlen sich aktuell depressiv, vor der Pandemie waren es 15 %.

Inzwischen machen sich Kinder und Jugendliche weniger Sorgen um Corona, aber die Hälfte ist durch andere Krisen belastet: Inflation, Energiekrise, Krieg, Klimakrise. Zwischen 32 und 44 % haben deswegen Ängste und Zukunftssorgen. Vor allem Kinder und Jugendliche, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem der Wohnraum beengt ist, die Bildungschancen niedriger sind und die einen Migrationshintergrund haben, sind gefährdet.

 

Warum Mädchen stärker belastet sind

Richard Weissbourd, ein Psychologe der Harvard-Universität, erklärt die höhere Belastung der Mädchen so: „Mädchen reagieren eher auf den Schmerz der Welt als Jungen. Jungen ,maskieren’ Depressionen durch Wut und Aggression, während Mädchen ihre Konflikte, Stress und Ängste ,verinnerlichen’.“

Der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen, Tobias Renner, sieht hingegen keine eindeutige Erklärung für den Geschlechtsunterschied bei Depressionen und Ängsten. Er geht davon aus, dass hormonelle Veränderungen in der Pubertät eine Rolle spielen. Und die Rollenbilder, die in der Gesellschaft vorherrschen. Renner sagt: „Es wird immer wieder angeführt, dass Mädchen und Jungs schon in der Kindheit andere Inhalte angeboten bekommen und das Einfluss nehmen könnte, wie später auch Krisen bewältigt werden.“

So kann für Mädchen schnell ein Teufelskreis entstehen: Wenn es ihnen schlecht geht, sind sie am liebsten allein. Dann ist das Smartphone oft der einzige Freund. Auf Social-Media-Kanälen sehen sie dann perfekte Bilder von perfekten Körpern und perfekten Leben im Vergleich zum eigenen. Das verstärkt die Minderwertigkeitsgefühle nur noch mehr. Sich aus eigener Kraft psychisch zu stabilisieren wird in dieser Situation so gut wie unmöglich. Häufig versuchen Mädchen dann sich selbst zu „helfen“, indem sie exzessiv Sport treiben und zu wenig essen.

Laut Daten der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH) litten 17,6 % der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren an einer Essstörung. 2019 waren es 12,9 %. Die KKH schätzt die Zahl der Betroffenen bundesweit auf 50.000. Die Zunahme von Essstörungen wird klar mit den Isolationsmaßnahmen während der Pandemie in Verbindung gebracht. Die Psychologin Nadine Vietmeier von der Berliner Charité sagt: „Studien weisen darauf hin, dass eine Reduktion der Social-Media-Nutzungsdauer dazu führt, dass Jugendliche ihren Körper positiver bewerten“. Sie hält einen bewussten Konsum sozialer Medien für wichtig.

 

 

 

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