Willkommen im Wohlfühl-Wartezimmer!
Ganz weit vorne im Bereich der Wartezimmergestaltung sind üblicherweise die Zahnärzte und Kieferorthopäden. Diese Erfahrung hat zumindest Nadja Alin Jung gemacht. Sie ist die Inhaberin der Praxismarketing-Agentur m2c medical concepts & consulting und hat der Ärztezeitung ein Interview zu diesem Thema gegeben.
Angenehme Stimmung schaffen
Ihr erster Tipp ist, sich bei der Gestaltung an den Bedürfnissen der Zielgruppe zu orientieren. In den vergangenen Jahren setzten beispielsweise viele Kinderärzte auf besonders kreative Wartebereiche mit Bällebad, Rutschen oder Klettertürmen. Das gefiel zwar vielen Kindern, doch sie waren im Anschluss so aufgedreht, dass die Untersuchungen erschwert wurden. Davon abgesehen ist es auch eine hygienische Frage. Gerade Kinder leiden häufig an ansteckenden Infekten und eine komplette Reinigung der Spielgeräte ist nicht nach jedem Besucher möglich. Daher geht der Trend eher wieder zum Angebot von ruhigen Beschäftigungen wie Büchern, Beschäftigungsspielen oder einem Fernseher. Bei Jugendlichen setzt Nadja Alin Jung vor allem auf digitale Unterhaltung. Wenn Lademöglichkeiten oder elektronische Geräte zur Verfügung stehen, gefällt das der Altersgruppe der Teenager ganz besonders.
Wartezeit für Werbung nutzen
Besuchen hauptsächlich Erwachsene die Praxis, sieht Nadja Alin Jung immer mehr Wartebereiche, die einer Hotellobby gleichen. Eine ähnliche Wohlfühlatmosphäre vermittelt man mit gemütlichen Loungemöbeln, kleinen Tischen und warmen Farben. Vorbei ist die Zeit der reinen Zweckmäßigkeit mit kahlen Wänden und unbequemen Stühlen. Viele Praxen stellen mittlerweile auch eine Espressomaschine zur Verfügung. Generell machen sich Ärzte heute viel mehr Gedanken um die optische Gestaltung der Praxisräume als noch vor 20 Jahren, so Nadja Alin Jung.
Das Prinzip des Slogans „Wartezeit ist Werbezeit“ kann sie immer noch unterstützen. Ihrer Erfahrung nach interessieren sich Patienten auch heute noch für Flyer oder Broschüren. Nichtsdestotrotz kann man trotzdem moderne Kommunikationsmittel wie Bildschirme oder Roll-ups (Werbedisplay) etablieren.
Zocken im Wartezimmer
Dr. Pascal Schumacher, Kieferorthopäde und Inhaber der Praxis „Cologne Smiles“, hat ein ganz besonderes Wartezimmer, das er in der Ärztezeitung vorstellt. Es gleicht einer Spielhalle, in der verschiedene elektronische Geräte zur Verfügung stehen, wie Playstations, Tablets oder 2 altmodische Spielautomaten. Es ist dunkel, LED-Lichter beleuchten dezent den Raum. Am Getränkekühlschrank, der Snack-Bar oder der Eis-Gefriertruhe können die jugendlichen Patienten ihre eigenen Batterien wieder aufladen.
Um Werbestrategien braucht sich Pascal Schumacher keine Sorgen mehr zu machen. An den Schulen in der Umgebung ist längst im Umlauf, wie „cool“ man in seiner Praxis die Wartezeit verbringen kann. Der Kieferorthopäde denkt jedoch auch an die erwachsenen Patienten oder Begleitpersonen. Sie haben in ihrem eigenen Bereich eine Kaffeemaschine und können auf weitere Getränke oder Snacks zugreifen.
Der Grundgedanke, sich von der Konkurrenz abzuheben, ist aus seiner Sicht geglückt. Manchmal hat das Praxisteam fast Probleme, die Patienten wieder aus der Praxis zu bekommen.
Er ist nach wie vor von seinem Konzept als Marketinginstrument überzeugt. Denn wenn man etwas Überraschendes und einen speziellen Service biete, spreche sich das herum. Er habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute sich im Privaten über genau diese Dinge unterhielten und eher nicht über die Qualität der Behandlung. Auch die Onlinerezensionen geben ihm Recht: „So einen Wartebereich wünscht man sich bei jedem Arzt“ oder „Bei Ihnen ist es besser als jeder Indoorspielplatz“.
Eine gute Praxisstruktur ist der Garant für wenig Wartezeit
Iris Schluckebier, Expertin für Praxis- und Qualitätsmanagement beim PKV Institut, kann die Euphorie bei dieser progressiven Wartezimmergestaltung nicht teilen. Sie gibt zu bedenken: Je nach Fachrichtung sind Praxen heute nicht zwingend darauf angewiesen, Ausschau nach noch mehr Patienten zu halten. Im Gegenteil, viele seien mit ihrer Personalkapazität schon an der Versorgungsgrenze angekommen. Keine Frage, Patientinnen und Patienten sollten sich im Wartezimmer wohlfühlen, aber sie gibt auch zu bedenken: Eine Arztpraxis ist kein Hotel und deshalb ist ein Wartezimmer weder eine Hotellobby noch Spielhalle noch Café.
Ganz abgesehen davon, seien immer auch die Hygieneaspekte zu beachten, so Schluckebier. Nicht zuletzt bliebe auch die Frage unbeantwortet, wie MFAs und ZFAs neben ihren vielen praxisbezogenen Aufgaben auch noch die Servicekraft für Snacks oder Kaffee machen sollten, wo sie selbst kaum Zeit hätten, ein Glas Wasser zu trinken.
Auch der Gesundheitsgedanke dürfe nicht außer Acht gelassen werden, betont Schluckebier. Ist eine Arzt- oder Zahnarztpraxis wirklich die richtige Adresse, fragt sie im Gespräch mit dem PKV Institut, um das Konsumverhalten des „Zockens und Futterns“ durch Snacks und Spielekonsole zu fördern? Schluckebier ist überzeugt: „Wir brauchen nicht immer bessere Wartezimmer, sondern eine gute Praxisstruktur für wenig Wartezeit! Dann kann ein jeder seine wertvolle Zeit außerhalb von Arzt- und Zahnarztpraxis so verbringen, wie er oder sie es möchte.“
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