Das Rückgrat der ambulanten Gesundheitsversorgung protestiert
„Schluss mit lustig!“ hatte der Verband medizinischer Fachberufe im Vorfeld der Protestaktion „Rote Karte für die Gesundheitspolitik“ angekündigt. Mehr als 1.000 Angehörige von Gesundheitsberufen sowie zahlreiche Unterstützende aus dem gesamten Bundesgebiet fanden sich am Freitag, dem 8. September 2023, am Brandenburger Tor in Berlin ein. Bei 31 Grad protestierten sie in praller Sonne drei Stunden gegen die Bedingungen in der ambulanten Gesundheitsversorgung.
Gegen unterirdische Gehälter und für mehr Respekt
„Wir geben Deutschland das Lächeln zurück“, steht auf den gelben und blauen Luftballons, die ein Praxisteam in die Luft hält. Team Bayern lässt die Aufschrift vermuten. „Nein, wir sind aus einer Kinderarztpraxis in Berlin-Pankow. Wir fanden den Spruch so cool“, lacht Ilka Hohlbein (rechts auf dem Foto). Sie ist seit 30 Jahren im Beruf. Sie und ihre Kolleginnen, ebenfalls seit 23 bzw. 18 Jahren in der ambulanten Praxis tätig, sind mit der Gesundheitspolitik nicht einverstanden. Nach der Wende hat die studierte Finanzökonomin eine Umschulung zur Arzthelferin absolviert und sie ist gern im Beruf tätig. Aber: „Unsere Gehälter sind unterirdisch. Junge Leute sehen es nicht mehr ein, für so wenig Geld zu arbeiten.“ Das ist nicht alles. Der Respekt vor den in der ambulanten Versorgung Tätigen fehle. „Wir sind keine ‚Praxis Bülowbogen‘, die Anforderungen an den Beruf werden immer höher“, sagt Ilka Hohlbein. Für die Ausbildung bliebe keine Zeit. „Wir sind froh, wenn wir die Patienten ordentlich betreuen können.“
Gegen Budgetierung notwendiger Regelleistungen
Ein junger Mann zieht einen Riesen-Dinosaurier hinter sich her vor die Bühne. „Da ist bestimmt der Lauterbach drin“, witzelt ein Mann. Der Bundesgesundheitsminister taucht auf mehreren Plakaten auf. Real sehen lässt er sich nicht.
Dass sich ihre Gehälter erhöhen, wünschen sich auch Jana und Janine. Sie arbeiten in einer Diabetologischen Praxis. Die Berlinerinnen sind seit 25 bzw. 30 Jahren als Medizinische Fachangestellte tätig. Sie nehmen zum ersten Mal an einer Protestaktion teil. „Unsere Ärzte machen heute allein Sprechstunde“, berichten sie und halten ein Banner, das der Budgetierung von notwendigen Leistungen in der Regelversorgung die Rote Karte zeigt. „Unsere Chefin würde uns gern besser bezahlen, aber es geht nicht und mehr Personal, das wir bräuchten, ist auch nicht finanzierbar“, erklären sie ihre Motivation zur Teilnahme.
Für hilfreiche Digitalisierung und zukunftsgerichtete Politik
Schon vor dem offiziellen Beginn der Kundgebung um 13 Uhr spricht der erste Redner. Stephan Pilsinger (CSU) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und als angestellter Hausarzt in der Nähe von München tätig. „Ende im Gelände!“, sagt auch er energisch. Er moniert, dass es seit 30 Jahren keine Veränderungen in der ambulanten Gesundheitsversorgung gibt und kündigt an, „weiter ordentlich Druck zu machen“.
Gegen Ignoranz der ambulanten Regelversorgung
Vor 3 Jahren standen wir hier mit 3 Kolleginnen“, erinnert Stephanie Schreiber, Medizinische Fachangestellte und 2. Vorsitzende im geschäftsführenden Vorstand des Verbandes medizinischer Fachberufe. „Die durchgehende Ignoranz der Politik ist nicht hinnehmbar“, sagt sie. „Seit 3 Jahren zeigen wir uns, trotzdem wird die ambulante Regelversorgung ignoriert.“ Angebote an Politiker zur Hospitation in Praxen habe es zur Genüge gegeben. „Nehmen Sie sie wahr!“, fordert sie auf und: „Hören Sie auf, mit leeren Versprechungen an die Öffentlichkeit zu gehen!“
25 Redebeiträge folgen in den nächsten 2 Stunden. Alle wertschätzend und fokussierend auf verschiedene Aspekte der Ärzte und Zahnärzte, der MFAs und ZFAs, aber auch der Zahntechnik-Innung und weiterer Unterstützender. Der Bayrische Staatsminister für Gesundheit und Pflege Klaus Holetschek wiederholt: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“. Er versichert den Anwesenden die politische Unterstützung und lobt: „Sie sind das Rückgrat der Versorgung. Sie wissen, wie’s geht und Sie werden uns durch die nächste Krise führen!“
Mehrfach ist zu hören, dass diese Protestaktion erst der Anfang des Kampfes sein soll.
Die Veranstaltung wurde live gestreamt und kann bei YouTube angeschaut werden.
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